Das Museum für alle!? Soziale Arbeit und kulturelle Bildung
Studierende der Sozialen Arbeit haben unter dem Titel „Das Museum für alle!? Soziale Arbeit und kulturelle Bildung“ einen Online-Fachtag organisiert. Nach zehn Monaten intensiver Arbeit im Lehr-Forschungsprojekt „Soziale Inklusion im digitalen Museum“ unter Leitung von Dr. Marion Kamphans, Vertretungsprofessorin am Fachbereich Sozialwesen mit den Schwerpunkten Bildung und Diversity in der Sozialen Arbeit, stellten sie am Mittwoch, 9. Februar 2022, ihre Ergebnisse einem interessierten Publikum sowie dem kooperierenden Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim vor. Die Studierenden präsentierten online verschiedene Konzepte dazu, wie es Museen gelingen könnte, sowohl mit digitalen als auch mit analogen Mitteln eher „museumsferne“ Gruppen in Museen einzuladen und ein Interesse für die dort gezeigten Inhalte zu wecken.
Das große Interesse der Hochschule RheinMain an einer engen und dauerhaften Kooperation der Hochschule mit Akteuren aus Kultur und Zivilgesellschaft bekräftigten Hochschul-Präsidentin Prof. Dr. Eva Waller und der Dekan des Fachbereichs Sozialwesen, Prof. Dr. Christian Schütte-Bäumner, in ihren Grußworten. Sodann führte Dr. Marion Kamphans in das Projekt ein. Ausgangspunkt seien zwei soziologische Konzepte aus den USA gewesen, die der Polarisierung der Gesellschaft entgegenwirken sollen. Neben dem Konzept des Soziologen Ray Oldenburg zum „dritten Ort“ (= öffentliche Treffpunkte im Gegensatz zum Privaten als „ersten“ bzw. dem Ort der Arbeit als „zweiten“ Ort) habe auch die Weiterentwicklung dieses Ansatzes durch den Soziologen Eric Klinenberg dazu inspiriert, sich ausführlicher mit dem Zusammenhang von Sozialer Arbeit und kultureller Bildung zu beschäftigen. Die Professorin verwies hierzu auch auf ein Beispiel eines Museumsbetreibers aus Newcastle aus Nordost England („Tyne & Wear Archives & Museums“), in dem Sozialarbeiter:innen erfolgreich Projekte an der Schnittstelle zwischen Sozialarbeit und Kulturarbeit entwickeln.
Enge Zusammenarbeit mit dem Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim
Aktuell werde auch an deutschen Museen die Frage verstärkt diskutiert, wie es gelingen könnte, die Adressat:innen der Sozialen Arbeit für Museen und Kultur zu interessieren. Gleichzeitig stelle sich für die Soziale Arbeit die Frage, welchen Beitrag Museen für das soziale Miteinander und die soziale Teilhabe leisten können. Das Lehr-Forschungsprojekt hat diese beiden Perspektiven der kulturellen Bildung und der Sozialen Arbeit praktisch miteinander verknüpft. Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim dient als Beispiel und stand dem Projekt und den Studierenden bei der Entwicklung ihrer Museumskonzepte beratend zur Seite.
Cornelia Röhlke, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums, berichtete im Interview, wie der Weg in Rüsselsheim zu einem inklusiveren Museum aussah und welche Erfahrungen sie im Rahmen eines geförderten Inklusionsprojekts (2016-2018) bis heute gemacht haben und wie es weitergeht: „Inklusion ist nie fertig. Wir arbeiten hieran stetig weiter, um Barrieren abzubauen“. Das Museum beschäftigt mittlerweile eine Mitarbeiterin mit Beeinträchtigung, was es wesentlich erleichtere, eine inklusive Perspektive zum integralen Teil der Museumsarbeit zu machen, so Cornelia Röhlke.
Konzepte basieren auf einer Sozialraumanalyse
Für ihre Konzepterstellung zogen die Student:innen im Vorfeld wissenschaftliche Literatur heran und führten Sozialraumanalysen in der Stadt Rüsselsheim durch. Hierfür haben alle vier Studierendengruppen u.a. Interviews mit Expert:innen verschiedener sozialer Einrichtungen und Institutionen geführt und ausgewählte museumsferne Gruppen (Senior:innen, geflüchtete Kinder und Jugendliche sowie Jugendliche mit und ohne Migrationsgeschichte) befragt, um deren kulturelle Interessen herauszufinden. Als Ergebnis sind acht zielgruppengerechte analoge und digitale Museumkonzepte entstanden, mit denen es besser als bisher gelingen könnte, museumsferne Zielgruppen für das Museum und Kulturarbeit im Allgemeinen zu interessieren.
Eine Gruppe, die sich mit Senior:innen als Zielgruppe beschäftigt hat, stellte fest, dass Senior:innen häufig ein besonders hohes Mitteilungsbedürfnis über eigene Erinnerungen aufwiesen. Das haben die Studierenden im Entwurf „Gelebte Geschichte“ berücksichtigt. Kinder und Jugendliche erzählten – so das Ergebnis einer anderen Gruppe - dass sie die Festung des Museums attraktiv und spannend fanden. Diese Idee griffen die Studierenden auf und haben ein Mittelalterfest im Museum als regelmäßiges Ferienangebot für geflüchtete Kinder ausgearbeitet, bei dem die Museumsinhalte durch praktisches Tun wie z. B. Töpfern erfahrbar gemacht werden können, was gerade für geflüchtete Kinder interessant sein könnte, den sie können sich beteiligen, auch wenn sie erst noch dabei sind, die deutsche Sprache zu lernen Auch das Interesse der Jugendlichen an Themen zur Berufsorientierung sowie der Wunsch nach Beteiligung wurde in einigen Konzeptideen aufgegriffen.
Was in den Analysen an verschiedenen Stellen und auch in der sich anschließenden Diskussion deutlich wurde: Neben einer zielgruppenorientierten Gestaltung kultureller Angebote bedarf es auch einer proaktiven und aufsuchenden Ansprache der Zielgruppen, entweder direkt im Sozialraum und/oder über Organisationen und soziale Akteure. Vertrauen aufbauen und pflegen – das sind die Zauberwörter, um eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Hier spielt die Vernetzung mit dem sozialen Umfeld wie Vereinen sowie die Zusammenarbeit mit Sozialarbeiter:innen und Pädagog:innen der Schule eine wichtige Rolle. Außerdem brauche es mehr digitale und personelle Ressourcen in den verschiedenen Fachgebieten (in der Kulturarbeit, der Sozialen Arbeit und den kommunalen Stellen), um die notwendige Vernetzungsarbeit besser leisten zu können und so Museen als Begegnungsorte für unterschiedliche soziale Gruppen der Gesellschaft zu entwickeln.
Zum Abschluss der Veranstaltung hat Sabine Philipp, Leiterin des Stadtmuseums am Markt Wiesbaden (SAM), eine weitere Perspektive beigetragen. Ihre Vision sei es, das Stadtmuseum am Markt, das im Kellergewölbe wenig zur Geltung komme, als „dritten Ort“ neu zu denken. Dazu, so die Museumsmacherin, würde es sich anbieten, die Migrationsgeschichte Wiesbadens in den Blick zu nehmen und hierfür konkrete Ideen für kulturelle Projekte und Angebote zu entwickeln, die Vorschläge der Museumskonzepte und Erfahrungen der Studierenden mit aufgreifen könnten. Dazu wolle sie die bestehende Kooperation mit der Hochschule und dem Projekt IMPACT RheinMain fortsetzen und gemeinsam neue Konzepte mit den Fachbereichen entwickeln.