Mobilität im Wandel #13
Volle Straßen, schlechte Radwege und langsamer ÖPNV: So sieht derzeit der mobile Alltag vieler Menschen in Deutschland aus. Als Reaktion darauf haben sich deutschlandweit diverse Radentscheide und Länderinitiativen gegründet, die auf kommunaler und Landesebene die Mobilitätswende aktiv mitgestalten. Doch was für Mitgestaltungsmöglichkeiten haben solche zivilgesellschaftlichen Akteure und Initiativen? Was treibt Sie an, was haben sie schon erreicht, auf welche Hürden und Hindernisse stoßen sie dabei? Diesen und weiteren Fragen wurde im Rahmen der Vortags- und Diskussionsreihe „Mobilität im Wandel“ am Mittwochabend, 03. November 2021, unter dem Motto „Mobilitätswende von unten?! - Verkehrswende selber machen“ nachgegangen.
Zunächst begrüßte Dr.-Ing. Volker Blees, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule RheinMain, die rund 60 interessierten Teilnehmer:innen der Online-Veranstaltung sowie die Referent:innen.
Städte in Bewegung bringen: Radentscheide als Antrieb der Mobilitätswende
Den Beginn machten Beatrix Baltabol und Rebecca Faller vom Radentscheid Frankfurt. Beide sind beruflich in der Stadt- beziehungsweise Verkehrsplanung verankert und engagieren sich seit 2018 in der Frankfurter Initiative. Der Ausgangspunkt des Frankfurter Radentscheid war die wachsende Unzufriedenheit über die bestehende Radverkehrsinfrastruktur und das hohe Gefährdungspotenzial im Straßenverkehr. Nach dem Vorbild von Volksentscheiden in Städten wie Berlin, Bamberg und Darmstadt wurde der Radentscheid Frankfurt initiiert. Dabei formulierte die Volksinitiative zunächst Forderungen, bevor anschließend die Unterschriftensammlung begann. Über medienwirksame Aktionen, öffentliche Auftritte und nicht zuletzt durch das große Engagement aller Beteiligten konnten rund 40.000 Unterschriften für den Radentscheid gesammelt werden. Nach mehrmonatiger Prüfung wurde das Bürgerbegehren seitens des kommunalen Rechtsamtes jedoch formal abgelehnt. Daraufhin intensivierte der Radentscheid seine Bemühungen und machte der Stadt Frankfurt am Main konkrete Planungsvorschläge, die teilweise aufgegriffen wurden und nun schrittweise umgesetzt werden. Abschließend fassen Beatrix Baltabol und Rebecca Faller zusammen, dass der Radentscheid in Frankfurt bei der Bevölkerung, Politik als auch Verwaltung auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Er habe aber auch in der Verwaltung und Politik der Stadt Frankfurt am Main zu einem Umdenken geführt und Prozesse angestoßen, die vorher nicht möglich schienen. Der Anfang sei gemacht, aber die umgesetzten Maßnahmen noch immer nicht ausreichend. Der nächste Schritt könnte eine Mobilitätsgesetzgebung auf Landesebene sein.
Auf dem Weg zu einem Mobilitätsgesetz von unten - Die erfolgreiche Volksinitiative zur Verkehrswende in Brandenburg
Im zweiten Vortrag stellte Fritz Viertel, Landesvorsitzender des VCD Brandenburg, die bisherige Entwicklung der Volksinitiative „Verkehrswende Brandenburg jetzt!“ vor. Gegründet im Frühjahr 2019, konnte die Volksinitiative von Anfang an breit gefächerte Bündnispartner aufweisen: Von Fahrgastverbänden und Gewerkschaften wie EVG und GDL, über den ADFC bis hin zum VDV. Für Fritz Viertel war dies eine entscheidende Gelingensbedingung der Volksinitiative. Anders als in Frankfurt gab es bei der Formulierung von Zielen für Brandenburg vollkommen andere Ausgangsbedingungen und Anforderungen. Zum einen gab es regulatorische Hürden bei Aufgaben- und Baulastträgerschaften des Landes Brandenburg. Zum anderen stand eine verkehrsträgerübergreifende Realisierung eines Mobilitätsgesetzes im Fokus. Bis Ende 2020 sammelte die Volksinitiative schließlich mehr als 28.000 Unterschriften. In einer anschließenden Anhörung im Landtag, handelte man einen Kompromiss mit den Regierungsfraktionen aus. Um diesen realisieren zu können, musste die Volksinitiative formal abgelehnt werden. Jedoch wurde begleitend ein Entschließungsantrag formuliert, in dem ein Großteil der Forderungen der Volksinitiative übernommen wurden. Zudem beteiligt sich die Volksinitiative in einem Dialogprozess aktiv bei der Ausarbeitung des Mobilitätsgesetzes. Abschließend fasst Fritz Viertel noch mal die größten Herausforderungen der Volksinitiative zusammen: Die Corona-Pandemie und mangelnde Kampagnenfinanzierung sowie eine dünne Personaldecke der ehrenamtlich Aktiven stellten die Initiative immer wieder vor Herausforderungen.
Abschließend fasst Dr. Volker Blees zusammen, dass beide Initiativen zwar formal abgelehnt wurden, durch ihr großes Engagement und Beteiligtennetzwerk jedoch wichtige Impulse hin zu einer Mobilitätswende in Kommune und Land setzten konnten und von den handelnden Akteuren in Politik und Verwaltung als Gesprächs- und Verhandlungspartner auf Augenhöhe anerkannt wurden.