Smart Mobility

MOBILITÄT IM WANDEL #15

© Jens Boysen

© Thorsten Möginger

Autonomes Fahren weckt in weiten Teilen von Politik, Gesellschaft und Fachwelt die große Hoffnung, die aktuellen Verkehrsprobleme in Stadt und Land mit einem zeitgemäßen technologiegetriebenen Angebot für die öffentliche Mobilität von morgen zu lösen. Doch wie realistisch sind die hohen Erwartungshaltungen und welche Herausforderungen ergeben sich in Einführung, Umsetzung und Praxisbetrieb auf kommunaler wie regionaler Ebene? Diesen und weiteren Fragen wurde im Rahmen der Vortags- und Diskussionsreihe „MOBILITÄT IM WANDEL“ von IMPACT RheinMain am Mittwoch den 26.01.2022 unter dem Motto „Autonomes Fahren – Fata Morgana oder Realität von morgen?“ nachgegangen. Kooperationspartner dieser Veranstaltung war die VSVI Hessen e. V.

Zunächst begrüßte Prof. Dr. Volker Blees, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule RheinMain, die mehr als 80 interessierten Teilnehmer:innen der Online-Veranstaltung, sowie die beiden Referenten.

Testfeld, Feldversuch, Reallabor… und dann? Chancen und Herausforderungen der Praxisintegration von autonomen Shuttles aus kommunaler Perspektive

Im ersten der beiden Vorträge ging Jens Boysen von der Stadt Heilbronn auf die kommunale Sicht der Praxisintegration von autonomen Shuttles ein. In Heilbronn gibt es insgesamt drei Projekte, die sich mit dem autonomen Fahren beschäftigten: TAF-BW, BUGA:log und experimenta-Shuttle.

Im Projekt TAF-BW geht es überwiegend um Vehicle-to-Infrastructure-Kommunikation. Beispielsweise ermöglicht neue Lichtsignaltechnik den dynamischen Informationsaustausch mit den Erprobungsfahrzeugen. Darüber hinaus haben Automobilhersteller im Rahmen des Projektes die Möglichkeit, ihre Fahrzeuge und Komponenten in Alltagssituationen zu testen. Durch die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur einerseits sowie durch autonome Fahrfunktionen andererseits ergeben sich neue Potenziale in der Verkehrssteuerung. So können sich Fahrzeuge in dichteren Fahrfolgen bewegen, ein Grüne-Welle-Assistent implementiert oder eine KI-gestützte Verkehrssteuerung integriert werden.

Das zweite Projekt, BUGA:log, wurde im Rahmen der Bundesgartenschau 2019 realisiert. In einem neuen Stadtquartier wurden die rund 800 Bewohner:innen mit dem sogenannten „PAXI“ beliefert. Die automatisierte Transporteinheit realisierte die Paketlieferungen. Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von der Hochschule Heilbronn. Dabei zeigte sich, dass es von herausragender Bedeutung ist, Akzeptanz für das autonome Fahren in der Bevölkerung aufzubauen.

Im dritten und letzten Projekt geht es um die Integration eines autonomen Shuttles von EasyMile in den echten Betrieb. Die hierzu eingerichtete Teststrecke ist einen Kilometer lang. Das Projekt soll jedoch auf weitere Stadtgebiete ausgeweitet werden. Bislang erwiesen sich die Fahrzeuge nicht als massengutfähig und taugen daher nicht als Ersatz für den klassischen ÖPNV. Laut Herr Boysen liegen mögliche Einsatzgebiete für autonome Shuttles in der Anbindung von autoarmen Quartieren an leistungsstarke ÖPNV-Achsen, in einer bedarfsgerechten Bedienung in Tagesrandlagen und aufkommensschwachen Relationen sowie in der flächenhaften Erschließung von Gebieten.

Im Politikfeld Verkehr hat sich die Stadt Heilbronn zum übergeordneten Ziel gesetzt, die verkehrsbedingten Belastungen für Mensch und Umwelt zu reduzieren. Das autonome Fahren leistet jedoch keinen direkten Beitrag hierzu. Herr Boysen machte aber deutlich, dass damit durchaus andere Probleme im städtischen Raum gelöst werden können. Beispielsweise könnten Ausstiegspunkt und Parkmöglichkeiten entkoppelt und so Flächen für die nicht-verkehrliche Nutzung gewonnen werden. Dennoch sind autonome Fahrzeuge immer noch motorisierter Individualverkehr, welcher reduziert werden soll. Zusammenfassend könne festgehalten werden, dass das autonome Fahren Probleme löse, aber gleichzeitig neue Herausforderungen schaffe.

Autonom in Richtung Zukunft? – Perspektiven für die Region Rhein-Main

Im zweiten Vortrag des Abends erläuterte Thorsten Möginger (rms consult) mögliche Perspektiven des autonomen Fahrens mit dem Fokus auf die Region Rhein-Main. Auch der RMV hat mehrere Projekte in diesem Themengebiet: EASY, EASYplus und OnDeMo-FRM.

Das EASY-Projekt bestand aus insgesamt vier autonom fahrenden Shuttles, welche auf verschiedenen Testfeldern eingesetzt wurden: am Mainufer in Frankfurt, am Horst-Schmidt-Klinikum in Wiesbaden, am Kloster Eberbach in Eltville, in Salmünster in Bad-Soden und auf dem Gelände der Stadtbahnzentralwerkstatt in Frankfurt. Nach den bisherigen Erfahrungen sind solche Shuttle jedoch nur in ganz speziellen Einsatzgebieten sinnvoll einsetzbar. Auch sind die Fahrzeuge bislang für den Betrieb mit Operator ausgelegt. Für den No-Operator-Betrieb müssen die Fahrzeuge deutlich intelligenter werden und mit komplexeren Situationen umgehen können. Das EASY-Projekt wurde dieses Jahr im Rahmen des EASYplus-Projektes fortgeführt.

In dem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geförderten Projekt OnDeMo-FRM zeigte sich, dass On-Demand-Verkehre in Zukunft vor allem Angebotslücken im bestehenden ÖPNV schließen sollen. Für Anwendungen in größeren Feldern sei der On-Demand-Verkehr zu teuer. Er stellt aber eine Alternative zu Ortsbussen dar, kann in ländlichen Regionen als Zubringer zum Regionalverkehr dienen und demnach Autofahrten vom Land in die Stadt reduzieren.

Zukünftig müssen autonome Fahrzeuge auf dem SAE Level 4 agieren können. Darüber hinaus müssen die Fahrzeuge auch insgesamt schneller fahren und komplexere Verkehrssituationen bewerkstelligen können. Es gilt aber auch die neue Fahrzeugtechnik adäquat in den ÖPNV zu integrieren. Dafür müssen Leitstellen inklusive technischer Aufsicht oder auch Ride-Pooling-Konzepte entwickelt werden. Trotz der Herausforderungen sei das autonome Fahren aber wesentlicher Bestandteil der Angebotsoffensive des Flächenverbunds RMV.