Transformation: Wie erneuerbare Energien unsere Stromnetze stärken
Wie können wir dezentral Energie gewinnen? Wie können wir unser Stromsystem so umbauen, dass wir eine größere Autonomie von Ländern erlangen, die fossile Energien liefern? Sowohl der Klimawandel als auch der Krieg in der Ukraine haben gezeigt, wie drängend ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien ist. Zugleich stellen diese aber auch eine Herausforderung für die Stabilität unserer Energieversorgung dar. Darum wurde am Dienstag, den 5. Juli 2022, im Rahmen der Reihe „DIALOG IM MUSEUM“ darüber diskutiert, inwiefern der zelluläre Ansatz ein Weg sein kann, unsere Stromnetze zu stärken.
Der zelluläre Ansatz
Den Auftakt macht Prof. Dr. Heinz Werntges, Professor für Angewandte Informatik, mit seinem Vortrag über die mögliche künftige Struktur des deutschen Energiesystems.
Das deutsche Stromnetz zähle aktuell demnach zu den stabilsten der Welt. Das läge unter anderem auch daran, dass 80 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland durch fossile Energieträger gedeckt werden würden. Damit dieser Anteil sinke, müsste im Zuge eines veränderten Nutzungsverhaltens und der Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors der Ertrag an Wind- und Solarstrom in den nächsten sieben Jahren verdoppelt werden. Bereits heute jedoch wäre es an manchen Tagen nötig, Kohle- und sogar Kernkraftwerke herunterzuregeln, weil die erneuerbaren Energien kurzfristig sehr viel Strom ins Netz speisen würden. Eine Verdoppelung der Kapazitäten werde diese Schwankungen in der Stromeinspeisung erhöhen, was zu Problemen in der Stabilität des Stromnetzes führe. Zudem wüchsen die Gefahren durch externe Faktoren wie Sabotage oder Kollateralschäden durch externe Konflikte.
Eine Möglichkeit der Vorsorge böte der zelluläre Ansatz des VDE. Statt eines Verbunds an Großkraftwerken, Versorgungs- und Verteilnetzen würden demnach elementare Zellen auf Häuser- oder Quartiersebene mit einem gewissen Grad an Autarkie das Rückgrat des Energiesystems darstellen. Diese elementaren Zellen würden mittels Photovoltaik-Anlagen Strom erzeugen und Überschüsse vor Ort in Puffer-Akkus speichern. So wäre die Versorgung durch die Schaffung von „Versorgungsinseln“ auch im Krisenfall gewährleistet. Voraussetzung dafür wäre die staatliche Förderung entsprechender Photovoltaik-Anlagen und Akkus, aber auch die Schaffung der entsprechenden technischen Standards und die Entwicklung geeigneter Geschäftsmodelle.
Ausbaupotenziale der erneuerbaren Energien
In der anschließenden Diskussion, die mit den Möglichkeiten des Ausbaus der erneuerbaren Energien einstieg, erläuterte Karsten McGovern, Geschäftsführer der LandesEnergieAgentur Hessen (LEA), die Notwendigkeit einer Verfünffachung der derzeitigen Leistung aus Windenergieanlagen. Prof. Werntges erwiderte, dass 90 Prozent aller Haushalte noch immer nicht mit PV-Anlagen ausgestattet seien und hierin der größere Hebel stecke, da diese wesentlich schneller und günstiger zu installieren seien. Thomas Jäger, CEO von Jäger Direkt, ergänzte, dass inzwischen verstärkt sowohl Fassaden als auch Dachflächen genutzt würden. Allerdings werde nicht nur die Frage der Erzeugung, sondern auch die der Regelung in Zukunft immer wichtiger, zum Beispiel durch intelligente Netze oder die Möglichkeit, Elektroautos als mobile Pufferspeicher zu nutzen („Mobile to Grid“).
Hierbei wäre der zelluläre Ansatz, so Prof. Werntges, eine gute Strategie. Da die Elementarzellen ihre Energieversorgung größtenteils selbst abdeckten, würden über das Netz nur Überschüsse eingespeist beziehungsweise Bedarfslücken abgedeckt werden, was die Netze entlaste. Durch eine geschickte Regelung könnten aber nicht nur Elementarzellen, sondern auch Zellen höherer Ordnung sinnvolle Aufgaben übernehmen. So könnten Biogas- oder Windkraftanlagen in Dörfern genutzt werden, um zumindest teilweise Autarkie zu erzielen. Auch die lokale Produktion von Wasserstoff wäre denkbar.
Viele kleine Einzellösungen
Um dies alles zu verwirklichen, dürfe man allerdings nicht auf eine große Standardlösung setzen, so Thomas Jäger. Vielmehr bestünde die technische Umsetzung aus vielen kleinen Einzellösungen. Das grundsätzliche Problem sei aber nicht die Technik, sondern die Wirtschaftlichkeit. Solange Vermieter investieren müssten, jedoch nur die Mieter davon profitierten, bestünde für sie kein Anreiz. Wenn hierfür keine Lösung gefunden werde, würde sich am Ende nichts bewegen. Karsten McGovern sieht hier auch die Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht: es müsse ein Bekenntnis der Zivilgesellschaft geben, entsprechende technische und wirtschaftliche Lösungen auch anzunehmen. Anstelle pauschaler Ablehnung sollten die Möglichkeiten ausgelotet werden.
Dazu gehöre in den Augen von Thomas Jäger auch aufzuzeigen, welchen Nutzen die Transformation mit sich bringe. Prof. Werntges pflichtet ihm bei: Das Mieterstrommodell sei hierbei eine Möglichkeit, die jedoch radikal vereinfacht werden müsse. Aktuell würden Vermieter durch die Installation von PV-Anlagen in die Rolle eines Versorgungsunternehmens gezwungen werden, sofern sie Mieterstrom anbieten. Stattdessen sollte der Mieter auch weiterhin die Möglichkeit haben, bei seinem Stromversorger zu bleiben. Der Vermieter würde demnach lediglich die Differenz abrechnen.
Neben dem Mieterstrommodell beschrieb Karsten McGovern aber noch einen anderen Weg: Bürgerinnen und Bürgern sollte verdeutlicht werden, dass sich mit Solarstrom auch Geld verdienen lasse, wie das Beispiel Marburg zeige. Sonneninitiative e. V. organisiere dort für städtische Liegenschaften und Unternehmen PV-Dächer und verkauf diese an Bürgerinnen und Bürger.
Große Herausforderungen – aber auch Chancen
Die Diskussion im Deutschen Architekturmuseum verdeutlichte, welche großen Herausforderungen auf die Gesellschaft als Ganzes warten. Die Förderpolitik könne dies nicht alleine stemmen. Vielmehr müssten die im Gebäude- und Energiesektor Beschäftigten Lösungen finden, wie die Transformation gelingen könne. So erklärte Prof. Dr. Thomas Heimer, der die Diskussion moderierte, dass der Gebäudesektor seit 2010 fast keine Energie eingespart habe, da der Reboundeffekt sämtliche Effizienzgewinne auffräße. Damit zeige sich aber auch, dass rein technologische Fortschritte nicht ausreichten. Stattdessen müsse sich auch das Verhalten der Menschen ändern. Wie das zu schaffen sei, werde die entscheidende Frage sein.