WOHN-VISIONEN #11: Digitale Techniken im Alter
Am 7. Dezember lud das Projekt IMPACT RheinMain zur Onlineausgabe der Veranstaltungsreihe WOHN-VISIONEN ein. Im Mittelpunkt des Abends stand das Thema „Digitale Techniken im Alter – Möglichkeiten oder Barrieren der Teilhabe“. Die geladenen Expert:innen setzten sich mit Fragen der Digitalisierung aus der Perspektive ihrer forschenden und praktischen Arbeit auseinander und damit, wie ältere Menschen stärker von digitalen Techniken in ihrem Alltag profitieren können. Rund 45 Besucher:innen verfolgten die Beiträge und anschließende Podiumsdiskussion und brachten via Chat eigene Anregungen und Fragen ein.
Walid Hafezi, Professor für Soziale Gerontologie an der Hochschule RheinMain, betonte in seiner thematischen Einführung die Zielkonflikte und ethischen Implikationen, die der Digitale Wandel mit sich bringe. Einerseits sei es politisch und gesellschaftlich erwünscht, dass man der Digitalisierung positiv gegenüberstehe. Andererseits gingen auch „Lernzumutungen“ insbesondere für ältere Menschen damit einher, die einen gewissen Druck erzeugten und der Technologieakzeptanz entgegenwirkten. Wichtig für sie sei es vor allem, die digitale Souveränität der Menschen und damit den selbstbestimmten Einsatz von digitalen (oder auch analogen) Anwendungen zu stärken – je nach individuellen Bedarfen. Für eine solche Selbstbestimmung sei der Zugang zu digitalen Technologien unerlässlich. Wie es hierum in Wiesbadener stationären und teilstationären Einrichtungen der Altenhilfe bestellt ist, soll das Forschungsprojekt „Alter und Technik“ bis Ende 2022 untersuchen, das Robert Rempel, Sozialarbeiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sozialwesen, vorstellte. Im Rahmen einer Vollerhebung zur IT-Infrastruktur soll der Status quo erhoben und um qualitative Erhebungen ergänzt werden, um hieraus wichtige Ansatzpunkte für Wiesbaden zu identifizieren und gemeinsam Transferprojekte zu initiieren. Rempel begrüßte den Beitritt Wiesbadens zum WHO-Netzwerk für Age-Friendly Cities (AFC) im September 2021.
Nicole Bruchhäuser von der Beratungsstelle für barrierefreies Wohnen – Besser leben im Alter durch Technik in Wiesbaden (BelleWi) – berichtete von dem breiten Angebot, das die Musterausstellung seit 5 Jahren anbietet. Die Ausstellung ist als Ergebnis eines Modellprojekts entstanden. Das Angebot sollte u.a. niedrigschwellig sein und Interessierte als „mündige Verbraucher:innen“ unabhängig und auf ihren besonderen Bedarf abgestimmt beraten. Konzeptbestandteil sei u.a. die Beratung zu förderfähigen Kosten. „Das Kosten-Nutzen-Verhältnis spielt eine wichtige Rolle in der Entscheidung für Techniklösungen“, so Bruchhäuser. „Die Kosten variieren mit der Zeit und dem technologischen Fortschritt. Mittlerweile erweitern auch Kranken- und Pflegekassen ihre Kataloge z.B. für Assistenzsysteme.“ Bruchhäuser und einer ihrer Kollegen ermöglichten dem Publikum einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung und präsentierten u.a. ein passives Notrufsystem, welches übliche Bewegungsmuster der Nutzer:innen erfasst und Auffälligkeiten per App an die Angehörigen meldet. Die Techniken seien vielfältig; wichtig sei die Kette der Menschen, die sich dann kümmere. Für die Zukunft notwendig sei unter anderem die Schaffung von mehr barrierefreiem Wohnraum. Dazu könnten Techniken nur bedingt beitragen. Als realistische Utopie könne sich Bruchhäuser ein Smartes Home zum Probewohnen vorstellen.
In der von Prof. Ingo Neupert, Hochschule RheinMain moderierten Diskussionsrunde kamen außerdem Iris Groß, Leiterin der Abteilung Altenarbeit im Amt für Soziale Arbeit der Stadt Wiesbaden, und Heinz Porten, Geschäftsführer der Akademie für Ältere an der vhs Wiesbaden zu Wort. Groß bestätigte, dass der Zugang zu Technik und damit digitalen Medien auch in Wiesbaden ein Problem darstelle. Bei der Einführung von Tablets zur Coronazeit hatten viele Einrichtungen noch kein WLAN. Insgesamt seien noch viele der älteren Menschen (Ü75) offline. Hier spiele weiterhin soziale Teilhabe durch physisches Zusammenkommen eine wichtige Rolle. Technische Hilfen könnten aber in der Haushaltsführung eine Entlastung darstellen.
Heinz Porten stellte fest, dass die Nutzung von Medien und digitalen Bildungsangeboten seit den coronabedingten Kontaktbeschränkungen Älterer stetig zugenommen habe. Die Nutzung hänge aber auch von sozialen und finanziellen Aspekten ab und sei je nach Stadtteil (und sozialer Schicht) unterschiedlich stark ausgeprägt.
Zu den hohen Kosten von Assistenzsystemen kam aus dem Publikum als Anregung die Idee auf, wie in Holland Leihsysteme zu nutzen und diese nach Bedarf und vorübergehend in Haushalten zu installieren – auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Dies sei für den Einzelnen nicht teuer, könnte Testungen erleichtern und eine größere Verbreitung sichern. Zudem sei auch die Zielgruppe der pflegenden Angehörigen wichtig. Für sie sei mehr Aufklärung, Aufbau von Medienkompetenz und Unterstützung notwendig.